Einige können sich bestimmt noch erinnern: Zur Jahrtausendwende sagten alle Prognosen für die Hauptstadtregion sinkende Bevölkerungszahlen voraus. Berlin war noch nicht sexy und wer Arbeit suchte, zog besser in andere Bundesländer. Brandenburgs Städte schrumpften und auch in Berlin prägten oftmals leerstehende Häuser das Straßenbild. Im Zuge dessen wurden einzelne Bahnhöfe stillgelegt und der Regionalverkehr teilweise ausgedünnt.
Zwei Jahrzehnte später zeigt sich ein völlig anderes Bild. In Brandenburg schießen Wohnsiedlungen und wirtschaftskräftige Gewerbegebiete aus dem Boden. Wer in Berlin eine Wohnung sucht, konkurriert mit vielen Mitbewerbern. Im Jahr 2018 waren in der Hauptstadtregion täglich 4,22 Millionen Menschen mit dem ÖPNV unterwegs. Im Vergleich zu 2008 wuchs die Zahl der Pendler zwischen Berlin und Brandenburg um 24 Prozent. Selbst der Corona-Lockdown sorgte nur temporär für eine sinkende Nachfrage und ziemlich leere Züge.
Aktuell flacht sich das stetige Bevölkerungswachstum in Berlin etwas ab und steigt dafür in einigen Landkreisen Brandenburgs stärker. Diese Entwicklungen haben die Verkehrsplaner im Blick: Die Nahverkehrspläne der Länder versuchen, die Zukunft abzubilden und geeignete Maßnahmenpakete vorzulegen. Wie sich die Dimensionen entwickeln werden, kann heute verständlicherweise niemand konkret und im Detail wissen. So sind im Zuge von Corona durchaus Änderungen beim Pendlerverhalten möglich. Viele Firmen erkennen, dass Homeoffice funktioniert und ein Teil der Arbeitnehmer wird durch den digitalen Umbau auch langfristig teilweise von zu Hause arbeiten. Die Wahl des Wohnsitzes wird damit auch flexibler. Schnelle und attraktive Schienenverbindungen werden aber in jedem Fall gebraucht.
Die Länder Berlin und Brandenburg, die den Verkehr bestellen, der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, der den Prozess plant und überwacht, die Deutsche Bahn als größter Infrastrukturbetreiber und 37 weitere Verkehrsunternehmen sorgen schon jetzt dafür, dass vor allem der ÖPNV die Menschen in der Hauptstadtregion in den kommenden Jahren in Bewegung hält. Wir bauen dabei auf sieben wesentliche Faktoren, mit denen wir die Zukunft planbarer machen wollen.
- Verkehr und Wohnraum zusammen denken
Der Gedanke dahinter: Wo es gute Verkehrsanbindungen gibt, allen voran der ÖPNV, da wollen die Menschen auch leben und arbeiten. Der gemeinsame „Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg“ (LEP HR) sieht ein gesteuertes Wachstum entlang der Achsen des sogenannten Siedlungssterns vor. Er deckt sich größtenteils mit den bestehenden Hauptverkehrskorridoren, die Schienenachsen gehen sternförmig vom Zentrum Berlins aus. Entlang dieser Achsen sollen auch Flächen für Wohnungsbau und Gewerbe ausgewiesen werden, die sich mit Freiräumen und Kulturlandschaften abwechseln. Darüber hinaus verfolgt der Plan das Konzept des „Sprungs in die zweite Reihe“: Orte, die bis zu einer Stunde Fahrzeit von Berlin entfernt sind, werden in den Fokus gerückt. Auch soll eine funktionierende überregionale und grenzüberschreitende Anbindung zu den Wachstumsregionen angrenzender Bundesländer sowie Polen geschaffen werden.
- Zukunftssicher planen
Charlottenburg, Neukölln oder Köpenick gehören erst seit hundert Jahren zu Berlin. Davor waren sie eigenständige Stadtgemeinden. Der Siegeszug der Dampflok – die erste in Preußen fuhr von 1838 an zwischen Potsdam und Zehlendorf – legte den Grundstein für die Stadt- und Einheitsgemeinde Groß-Berlin. In den Anfangsjahren fuhren die Züge noch über lange Strecken an Feldern und Wäldern vorbei. Niemand konnte beim Bau der Schienenstrecken damals ahnen, dass sich die Stadt Berlin soweit ausdehnen würde. Und der damaligen Entscheidung lagen keine Prognosen oder Nahverkehrspläne zu Grunde. Heute neue Strecken zu planen, erfordert dagegen viele Abstimmungen zwischen Politik, Verwaltungen und betroffenen Bürgern sowie komplizierte Vorausplanungen etwa zu Bahnübergängen, Lärmschutzbestimmungen oder zur Bebauung an den Gleisen. Zukünftig wird dieser Prozess nicht leichter und – davon ist auszugehen – das Wachstum der Hauptstadtregion nicht weniger. Deswegen müssen jetzt die Zukunftsentscheidungen für den Neu- und Ausbau im Schienennetz gefällt werden.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Strecke zwischen Berlin-Spandau und Nauen. Aktuell teilen sich dort Regional-, Fern- und Güterverkehr zwei Gleise. Mit dem i2030-Projekt „Mehr Schiene für Berlin & Brandenburg“ werden sechs Gleise geplant, zwei Gleise davon für eine S-Bahnverlängerung über Berlin-Spandau hinaus bis nach Falkensee. Heutzutage ist das schon eine Herausforderung, aber in zwanzig Jahren wird eine Erweiterung in dieser Größenordnung nahezu unmöglich sein, auch weil dann die letzten verfügbaren Flächen, vor allem auf dem Berliner Gebiet, bebaut sein dürften. Deswegen wollen wir schon heute vorausschauend denken, verfügbare Flächen nutzen und so die Bahn frei für den Schienenverkehr der Zukunft machen.
- Auf die Verkehrswende bauen
Der Klimawandel erlaubt keinen Aufschub. Deswegen initiieren Politik und Gesellschaft auf allen Ebenen Programme für eine umweltfreundliche und nachhaltige Zukunft. Die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich sollen bis 2030 um vierzig Prozent gegenüber 2018 gesenkt werden. Dabei kann beim sogenannten Umweltverbund (ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr) vorrangig die umweltfreundliche Schiene einen immensen Beitrag zur Verkehrswende leisten. Diese gewünschte Verlagerung passiert längst, wie die stetig steigenden Fahrgastzahlen in Berlin und Brandenburg beweisen. Schon heute ist die zumeist elektrifizierte Schiene das emissionsarme Massentransportmittel in der Region. Für die Strecken ohne Fahrdraht müssen Pilotprojekte neue Wege beschreiten: Batteriezüge werden in Ostbrandenburg zum Einsatz kommen, und Wasserstoffzüge mit Brennstoffzellen auf dem Dach könnten auf der Heidekrautbahn getestet werden, unter anderem auf der reaktivierten Stammstrecke zwischen Wilhelmsruh bis Groß Schönebeck. Diese Projekte gilt es entschieden finanziell zu fördern und politisch zu unterstützen, damit die Verkehrs- und Klimawende schneller in die Umsetzung kommt.